Immer wieder wird unser Leben durch – kleinere oder größere – Schicksalsschläge aus der Bahn geworfen: Ein für uns wichtiger Mensch stirbt unversehens; ein für uns wichtiger Job muss von heute auf morgen aufgegeben werden; eine für uns wichtige Reise muss wegen unerwarteter Erkrankung abgesagt werden. Wenn dies geschieht, beklagen wir unser Los bitterlich und hadern mit dem Schicksal. Es scheint kaum vorstellbar, dass wir jemals wieder Glück empfinden können. Und dennoch kann es gelingen – sagen die Stoiker. Und setzen noch einen drauf: GERADE nach Schicksalsschlägen ist die richtige Zeit, um sich das eigene Glück bewusst zu machen. Das ist unerhört!!
„Ich Unglückseliger – sagt jemand –, dass mir dieses oder jenes widerfahren musste! Nicht doch! Sprich vielmehr: Wie glücklich bin ich, dass ich trotz dieses Schicksals kummerlos bleibe, weder von der Gegenwart gebeugt noch von der Zukunft geängstigt!“ (Mark Aurel, Selbstbetrachtungen)
Dies klingt, als wären Stoiker unverbesserliche Optimisten. Aber so ist es nicht. Denn sie nehmen nicht an, dass selbstverständlich immer alles gut gehen wird. Im Gegenteil: Sie wissen vielmehr, dass das meiste im Leben eben NICHT unter unserer Kontrolle steht und uns das Liebste jederzeit entrissen werden kann. Sie sind daher permanent innerlich auf Schicksalsschläge vorbereitet. Dies soll uns keine Angst machen. Vielmehr ist damit die Mahnung verbunden, so achtsam wie möglich zu sein auf das, was das Leben uns Gutes bietet, und es richtig zu würdigen – denn es könnte bald vorbei sein.
Diese Lebenshaltung der Stoiker, sich – trotz aller Widrigkeiten – an den kleinen Dingen zu erfreuen, die ihnen gegenwärtig begegnen, hat durchaus Ähnlichkeit mit dem Zen-Buddhismus, der zur Achtsamkeit mahnt. Achtsam sein heißt, voll und ganz das wahrzunehmen, was im eigenen Inneren und um einen herum vorgeht. Die Stoiker nennen das Prosoché (προσοχή). Achtsamkeit erfordert innere Ruhe. Durch verschiedene Techniken versuchen beide Lehren, eine Art Seelenruhe zu erreichen, die eine innere Unerschütterlichkeit gegenüber allen Widrigkeiten des Lebens bewirkt. So gelingt es dem „stoischen Weisen“, selbst angesichts des Todes eines Elternteils ein tiefes Glück zu empfinden und die ausgelassene Lebendigkeit der eigenen Kinder zu genießen. Entscheidend ist – gerade nach Schicksalsschlägen – dass wir nicht permanent auf unsere Beeinträchtigungen starren, sondern uns auf unsere Fähigkeiten konzentrieren, und dass wir uns nicht ständig auf das fixieren, was wir verloren haben, sondern das in den Fokus rücken, was uns an Gutem bleibt. Versuchen Sie es doch beim nächsten Mal, wenn Sie glauben, vom Schicksal hart getroffen worden zu sein!
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