Erwartungen stoisch managen

Es vergeht kein Tag, den wir nicht mit Erwartungen beginnen – mal mit kleineren, mal mit größeren: Für meine Pflichterfüllung erwarte ich Lob, für mein soziales Engagement erwarte ich Dankbarkeit, für mein Fasten erwarte ich eine schlanke Figur, für meine Erziehungsbemühungen erwarte ich brave Kinder … Bei vielen unserer Erwartungen ist dabei eine herbe Enttäuschung vorprogrammiert. Wir hoffen und träumen – und müssen schließlich immer wieder erkennen: Wir haben uns geirrt – in einer Einschätzung oder in einem Menschen. Und schon geraten wir in eine Negativspirale aus Ernüchterung, Frustration, Bitterkeit. Der Stoa-Lehrer Epiktet hat dazu folgenden Rat:

„Erwarte nicht, dass die Dinge so laufen, wie du es dir wünschst, sondern wünsche, dass alles so kommt, wie es dann tatsächlich passiert – und dein Leben wird mühelos verlaufen.“

Entscheidend für das Verständnis dieser Worte ist: Sie sind keine „Weisheit“, für die wir nur die rechte Einsicht brauchen, sondern eine ständige Übung, die wir immer wieder „trainieren“ müssen. Sie besteht aus drei Teilen:

„Erwarte nicht, dass die Dinge so laufen, wie du es dir wünschst …“

Das heißt: Wir sollten keinen übertriebenen Erwartungen anhängen. Denn jede Erwartungshaltung erzeugt Druck. Stoiker richten den Fokus lieber auf die Gegenwart. Denn dies ermöglicht ihnen eine realistischere Einschätzung, was sie selbst beeinflussen können und was nicht. Dazu hilft die stoische Grundhaltung der Achtsamkeit (prosoché). Sie ist auch eine wichtige Voraussetzung, um mit überzogenen Hoffnungen umgehen zu können. Denn wer sich auf die Möglichkeiten konzentriert, die direkt vor einem liegen, muss nicht darauf spekulieren, was vielleicht hinter der nächsten Kurve kommen könnte. Wagen Sie es, auf Sicht zu fahren.

„… sondern wünsche, dass alles so kommt, wie es dann tatsächlich passiert …“

Damit wir uns nicht missverstehen: Stoiker dürfen Wünsche und sogar Träume haben! Sie müssen nicht in Fatalismus verfallen und sich nicht mit wenigem bescheiden oder mit allem abfinden. Aber ihre Stärke besteht darin, aus dem, was sich ihnen gerade bietet, das Beste zu machen! Während unerfüllte Wünsche und Rückschläge für die einen eine nicht zu überwindende Enttäuschung darstellen, lernen Stoiker, sich mit ihrem Schicksal zu versöhnen (amor fati). Der Wunsch, „dass alles so kommt, wie es tatsächlich passiert“, bringt eine Haltung zum Ausdruck, die Schwierigkeiten und Rückschläge als – wichtigen – Teil des eigenen Lebens akzeptiert und am Ende sogar versucht, neue Möglichkeiten darin zu erkennen. Umarme dein Schicksal!

„… und dein Leben wird mühelos verlaufen.“

Und nun? Was bringt es uns, wenn wir den Rat von Epiktet befolgen? Dass alles sofort „mühelos“ verläuft, ist nicht zu erwarten. Aber vieles im Leben könnte deutlich entspannter werden. Allerdings nicht von heute auf morgen. Denn was Epiktet empfiehlt, ist eine Haltungsänderung. Und eine solche Haltung zum Leben muss immer wieder eingeübt werden. Aber es lohnt sich!

„Das größte Lebenshindernis ist die Erwartung: Abhängig vom Morgen, verliert sie das Heute.“ (Seneca)

2 Kommentare

  1. Das ist wirklich eine schwierige Übung, sich immer wieder auf das Jetzt zu besinnen. Vor allem, wenn jemand wie ich, geschlagen mit intensiven Katastrophen -Gedanken, versucht diese loszulassen. Da werde ich noch einige Zeit brauchen, um das zu lernen. Aber ich glaube, es hilft schon. Ich komme schneller aus negativen Gedankenspiralen heraus, seitdem ich mich mit Stoizismus beschäftige.

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  2. Um im gegenwärtigen Moment zu Leben, hilft es mir, den Tag in sinnvoll zusammenhängende Zeitabschnitte (z.B. Morgenhygiene) und diese in einzelne Handlungen (z.B. Zähneputzen) zu strukturieren. Dabei frage ich mich: Was mache ich gerade und was kommt als nächstes? Auf was kommt es hier und speziell heute an? Schweifen die Gedanken ab, bemerke ich es irgendwann und frage wieder…viel Glück Ihnen!

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