Das Thema „Gelassenheit“ steht heute bei vielen Menschen ganz oben auf der Liste guter Vorsätze. Insofern verwundert es nicht, dass sich in fast jedem der zahllosen Ratgeberbüchlein mit praktischen Lebensweisheiten ein Kapitel dazu findet. Darin werden dann hilfreiche Tipps gegeben, wie man im Beruf, in der Partnerschaft und der Familie gelassener wird. Wenn man jedoch nachfragt, wie Gelassenheit im Alltag wirklich ankommt, hört man oft: „Mir geht die Gelassenheit meines Partners / Kollegen manchmal tierisch auf die Nerven !!“ Die Begründungen ähneln sich: Zum Beispiel sind kurz vor Reiseantritt die Koffer noch nicht fertig gepackt – und während man selbst versucht, in aller Eile noch gerade rechtezeitig fertig zu werden, steht der Partner betont lässig herum oder trinkt seelenruhig einen Tee. Oder: Kurz vor einem wichtigen Kundentermin ist die Präsentation noch nicht fertiggestellt – und während man selbst mit fliegenden Fingern die letzten Folien erstellt, gibt der tiefenentspannte Kollege nur gute Tipps zur Entschleunigung, anstatt zu helfen. Das nervt wirklich!
Aber: Dieses Verhalten hat mit Ataraxia (ἀταραξία), der stoischen Gelassenheit, nichts zu tun! Zwar ist für Stoiker die Gelassenheit eine wichtige Geisteshaltung. Sie ist aber auf keinen Fall mit Gleichgültigkeit oder Teilnahmslosigkeit zu verwechseln. Auch wenn Stoiker gerne Bilder benutzen wie eine „innere Burg“ oder einen „Fels in der Brandung“ („Sei wie ein Fels, an dem sich beständig die Wellen brechen.“ Mark Aurel), wäre es doch ein Missverständnis, wenn dadurch der Eindruck von Gleichgültigkeit oder einer „Ist mir egal“ – Mentalität aufkommt.
Tatsächlich empfehlen Stoiker zwar einen inneren Rückzugsort, wenn starke Gemütserregungen einen zu überwältigen drohen, aber nicht als Selbstzweck, sondern weil es aus einem Zustand der Gelassenheit heraus besser gelingt, tugendhaft zu handeln und zu helfen. Auch wenn die stoischen Ideale einen starken Ich-Bezug haben, so haben sie doch immer auch eine soziale Dimension. Denn die Stoiker glauben, dass wir von Natur aus einen sozialen Charakter haben, dass sich Menschen von Natur aus umeinander kümmern und sich in ihrer Gemeinschaft engagieren. („Denn wir sind zur gemeinschaftlichen Wirksamkeit geschaffen, wie die Füße, die Hände, die Augenlider, wie die obere und untere Kinnlade.“ Mark Aurel)
Die Lehren der Stoiker sind insofern nie Selbstzweck, sondern Anleitung zum Handeln und Richtschnur für ihr soziales Engagement. Auch wenn die Basis der stoischen Haltung innere Ruhe und Ausgeglichenheit ist, ist doch das Ziel aller stoischen Übungen letztlich das richtige (tugendhafte) Handeln! In diesem Sinne verstanden, kann stoische Gelassenheit im Alltag unbedingt hilfreich sein, wenn z.B. der Partner am Abreisetag gut vorbereitet ist und dann in aller Ruhe letzte Hand anlegt, oder wenn der Kollege bei Termindruck besonnen bleibt und im Hintergrund effizient aushilft. Das ist Ataraxia im besten stoischen Sinn!
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