Weniger Empörung bitte!

Überall ist heute Empörung – Empörung über die Wahlerfolge von Rechtspopulisten, über den fehlenden wirtschaftlichen Aufschwung oder über Waffenlieferungen in Krisengebiete … aber auch über die Hecke des Nachbarn, den Essensplan der Kita oder die Unfähigkeit des Vorgesetzten. In politischen Talkshows gibt es niemanden, der nicht seiner Empörung Luft machen muss. Aber auch in privaten Gesprächen empören wir uns immer häufiger, wie schlimm doch alles ist! Die Medien wirken hierbei nur als verstärkende Echokammer.

Wer sich empört, hat eine klare und unverrückbare Position – und ein ebenso klares Feindbild. Denn wir wissen schließlich sehr genau, wer Schuld hat an dem ganzen Schlamassel! Wird ein Diskurs in einer solchen Atmosphäre der Empörung geführt, ist die Chance gering, dass irgendjemand seine Meinung ändert oder auch nur Einsicht oder Verständnis zeigt. Empörung ist also kein Weckruf, keine Aufforderung zum Handeln, sondern ein toter Punkt. Mit Empörung endet jeder Diskurs – es bleibt nur eine kollektive Aufregung.

Die Stoiker würden hier dringend für mehr Nachdenklichkeit plädieren. Vielleicht versuchen wir einmal, bevor wir uns empören, uns selbst zu hinterfragen: „Was, wenn meine eigenen Vorstellungen und Mutmaßungen falsch sind?“ Denn Stoiker wissen, wie unheilvoll falsche Vorstellungen sein können.

„Es ist nicht das Handeln, das die Menschen beunruhigt, sondern falsche Vorstellungen von Dingen, die sie um den Verstand bringen.“ (Seneca, Von der Ruhe des Gemüts)

 

„Alles hängt von deinen Mutmaßungen ab, und die liegen ganz bei dir. Verzichte bewusst auf vorschnelle Urteile und steuere dein Schiff so in ruhige Gewässer, schöneres Wetter und einen sicheren Hafen.“ (Mark Aurel, Selbstbetrachtungen)

 

Ja, ich weiß, nachdenkliche Menschen werden keinen Beliebtheitspreis auf Partys gewinnen und auch nicht in Talkshows eingeladen. Aber wer Bedenken äußert, muss nicht langweilig oder – noch schlimmer – ein Zauderer sein. Im Gegenteil: Wer sich sinnvoll an einer wichtigen Debatte beteiligen will, muss wissen: Empörung reicht nicht! Wir müssen zumindest den Versuch machen, konstruktiv nach einer Lösung zu suchen. Und hierbei kann etwas stoische Zurückhaltung und Besonnenheit Wunder wirken!

1 Kommentar

  1. Deine Auslegung ist sehr gut interessant. In der Tat werden nachdenkliche Menschen eher als Außenseiter gewertet, sind auf Partys der Flop und wenn sie den Mund aufmachen bei Presse Funk und Fernsehen Ereignisse keine gern gesehene Gäste. Doch wie du im letzten Absatz auslegst scheinen gerade nachdenkliche Menschen die Neigung zu haben an wichtige Diskussionen teilzunehmen.

    Was ist wohl für ein Stoiker besser: eine Party auf welcher man der Partyknüller ist oder die aktive Teilnahme an einer Diskussion?

    Ich bin wahrlich kein Party Star und Medien meiden mich. Ich fühle mich nicht ausgegrenzt denn ich habe und ich nehme an wahrlich wichtige Diskussionen teil.

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