Resilienz in der Stoa

Fragt man bekennende Stoiker, was sie als besonders wertvoll am Stoizismus empfinden, nennen erstaunlich viele immer wieder das eine: den Umgang mit Verlusten zu lernen. Sie beschreiben dann eigene Schicksalsschläge und wie sie – durch die Stoa geläutert – ihr Leben erneuerten. Solche Erzählungen faszinieren, aber sie implizieren oft, dass die Stoa für den Umgang mit Verlusten eine Art Geheimrezept oder Zauberformel bereithält. Tatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall! Vielmehr erfordert die Stoa ein beharrliches, teils anstrengendes Training, um sich selbst schrittweise „krisenfest“ zu machen.

ABER: Das ist das Großartige an der stoische Lebensphilosophie: Wir müssen nicht auf schwere Schicksalsschläge in unserem Leben „warten“, um sie dann endlich anwenden zu können. Sie bietet ebenso Hilfsmittel für die kleinen alltäglichen Verluste und die gewöhnlichen Katastrophen jedes Tages. Diese können mannigfaltig sein: ein streitbarer Nachbar oder ein missgünstiger Kollege, eine verpasste Beförderung oder ein gebrochenes Bein vor dem Urlaub … Solche und ähnliche Verlusterfahrungen und Krisen sind klein, aber häufig. Und gerade in ihrer pausenlosen Alltäglichkeit können sie uns langsam in die Knie zwingen.

Was der Stoizismus für diese Lebenssituationen zu bieten hat, lässt sich gut mit dem (modernen) Begriff Resilienz beschreiben. Der Begriff selbst war den antiken Stoikern nicht bekannt, er beschreibt aber ganz treffend, was sie zu erreichen versuchten. Resilienz ist nämlich eine besondere Fähigkeit, Belastungen auszuhalten. Ein resiliente Mensch lässt sich von Verlusterfahrungen nicht unterkriegen, sondern kommt bald wieder auf die Beine. Dazu muss man vor allem verstehen, dass der Resilienzbegriff eine ganz wichtige Perspektivverschiebung enthält: Denn obwohl Stoiker als sicher unterstellen, dass uns Verlusterfahrungen jederzeit treffen können, so versuchen sie gleichwohl, eine Art Trainings- bzw. Steuerungsprogramm zu initiieren, wie man sich gegen diese Verluste wappnen kann. So geht es auch bei Resilienz nicht darum, wie man schwierige Lebenssituationen übersteht, sondern vor allem darum, sich selbst – präventiv – dagegen widerstandsfähig bzw. krisenfest zu machen, um dann – wenn Krisen auftreten – nicht zu kollabieren, sondern schon bald wieder lebensfroh zu werden. Und das ist ganz im Sinne der stoischen Lehre!

Wie kann das gelingen? Zunächst ist dazu die Erkenntnis erforderlich, dass Verluste zum Leben gehören und alltäglich sind. Das ist für uns heute nicht selbstverständlich, denn der moderne Fortschrittsglaube hat tief in uns die Vorstellung verfestigt, dass es immer nur aufwärtsgeht. Dementsprechend haben wir eine Anspruchs- und Erwartungshaltung entwickelt, die mögliche Verluste schlicht ausblendet. Aber tatsächlich gibt es keinen Fortschritt ohne Verluste! Das heißt: Manchmal gewinnen und manchmal verlieren wir – das sollten wir als gegeben unterstellen und uns immer wieder daran erinnern!

Durch diese Erkenntnisse dürfen wir allerdings nicht in Defätismus verfallen. Denn am Ende geht es vor allem darum, sich mit den Verlusten im eigenen Leben zu versöhnen (Armor Fati). Wir müssen einüben, solche Verluste anzunehmen und uns auf das zu konzentrieren, was wir (noch) haben! Versuchen wir doch öfter, uns in Dankbarkeit zu üben. „Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast“ schreibt Mark Aurel. Denn aus einem Grundgefühl der Dankbarkeit lassen sich viel besser neue Möglichkeiten entdecken und weiterentwickeln. Dies können wir angesichts der kleinen alltäglichen Verluste gut trainieren. So werden wir langsam resilient, krisenfest und werden uns trotz Belastungen nicht unterkriegen lassen, sondern das Leben wieder aktiv in die Hand nehmen können!

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