5 Gründe, lieber kein Stoiker zu werden

Die folgende – nicht allzu ernst gemeinte – „Warnung“ richtet sich an Menschen, die die Stoa zu ihrer Lebensphilosophie machen (wollen) – nicht als Abschreckung, sondern als einer Art präventiver Vorbeugemaßnahme. Denn mit einer konsequent stoischen Haltung werden Sie immer wieder mit dem kollidieren, was heute als Idealbild eines sozialen Menschen gilt. Darauf sollten Sie innerlich vorbereitet sein.


1. Reine Vernunft gewinnt wenig Sympathien

 

Wer sich dem stoischen Ideal verpflichtet fühlt und durchgängig rational agiert, wird dafür nicht allzu viele spontane Sympathiepunkte seiner Mitmenschen gewinnen. Und wer sich selbst in emotionalen Situationen beherrscht zeigt und logisch argumentiert, wird sogar von manchen als leidenschaftslos oder gar kalt angesehen. DENNOCH sind Vernunft und Selbstbeherrschung auch wichtige Sozialkompetenzen. Und überzeugte Stoiker können ohne weiteres als liebenswerte Menschen erkannt werden – selbst wenn es dazu manchmal eines zweiten Blickes bedarf.


2. Abgewogenheit kann langweilig erscheinen

 

Heute werden in öffentlichen Diskussionen klare Positionen und pointierte Meinungen geschätzt, die in Streitgesprächen hart aufeinanderprallen. Dagegen wirken rational abgewogene Einschätzungen – wie sie stoischer Art entsprechen – bestenfalls langweilig. DENNOCH wird sich der Stoiker im Meinungsstreit für die Aussicht auf Applaus nicht zu billiger Effekthascherei verleiten lassen.


3. Affektkontrolle kann gleichgültig wirken

 

Heute wird es überwiegend als ideal angesehen, sich authentisch und unverstellt zu geben. Wer daher – wie die Stoiker – möglichst kontrolliert und nicht spontan-emotional reagiert, erregt nicht selten den Verdacht, er halte etwas zurück oder ihm sei alles gleichgültig. DENNOCH machen Wut- oder andere Gefühlsausbrüche Menschen auch nicht wirklich authentischer. Und die Gemütsruhe, die ein Stoiker ausstrahlt, kann in hektischen Situationen Gold wert sein.


4. Selbstbeherrschung kann uns distanziert erscheinen lassen

 

Es wird heute als erstrebenswert angesehen, in unverbrüchlicher Treue zu geliebten Menschen zu stehen und dies immer wieder zu zeigen. Dies ist Stoikern nicht verwehrt, jedoch bauen sie in der Regel eine gewisse Distanz zu ihrem Umfeld auf. Denn sie werden ihr Herz nicht zu stark an Dinge oder Menschen hängen, die für sie unkontrollierbar sind. DENNOCH steht dies einer echten Liebe nicht entgegen, auch wenn es auf manche lieblos wirken mag.


5. Pragmatismus ist wenig romantisch

 

In der allgemeinen Meinung wird eine heroische Auflehnung von Menschen gegen ihr vermeintliches Schicksal deutlich positiver bewertet als eine effiziente Anpassung an Gegebenheiten. So muss man wohl auch davon ausgehen, dass das literarische Bild des Hundes, der an einen Strick angebunden hinter einem Pferdefuhrwerk herläuft, von den meisten Betrachtern heute mit dem Wunsch verbunden ist, das Tier möge so lange an seinem Strick zerren, bis es sich befreien kann oder zusammenbricht. Beide Alternativen wären in unserer Gesellschaft deutlich positiver konnotiert als die Alternative, die ein Stoiker wählen würde: Ein langes beschwerdefreies Leben des Hundes innerhalb der Grenzen seines Strickes. DENNOCH (oder gerade deshalb) ist es wichtig, dass Stoiker immer wieder die Stimme der Vernunft gegen „heldenhafte“ Aktionen mit ungewissem Ausgang erheben.


FAZIT

 

Menschen, die Stoizismus praktizieren, müssen in unserer vielfältigen Gesellschaft – natürlich – nicht befürchten, von anderen angefeindet zu werden. Jedoch müssen überzeugte und praktizierende Stoiker durchaus mit Vorurteilen aus ihrer Umgebung rechnen, wenn Verhaltensregeln der Stoa falsch verstanden werden. Dies muss aber nicht dazu führen, die Grundsätze der Stoa generell in Frage zu stellen. Ein „moderner Stoiker“ kann sich in der heutigen Gesellschaft durchaus zurechtfinden. Schließlich muss man es mit der stoischen Haltung auch nicht übertreiben. Gleichzeitig sollte man es aber aushalten können, wenn der aktuelle Zeitgeist eine stoische Geisteshaltung nicht hoch bewertet oder missversteht. Viele praktizierende Stoiker unserer Zeit empfehlen daher, das Selbstverständnis als Stoiker nicht allzu offen vor sich herzutragen und in einen „Stoiker-Tarn-Modus“ zu schalten. Man muss die eigene stoische Grundhaltung zwar nicht als Geheimnis behandeln, sollte sich aber mit einem expliziten Outing als „Stoiker“ zurückhalten, da man im persönlichen Umfeld teilweise mit Unverständnis, teilweise auch mit Neckereien und Sticheleien rechnen muss. Es ist also nachvollziehbar, dass man nicht jedem Gesprächspartner verkündet, dass er es nun mit einem Stoiker zu tun hat. DENNOCH sollte man – auch im „Tarn-Modus“ – immer und unbedingt zu seinen stoischen Überzeugungen stehen und danach handeln!

„Bezeichne dich keinesfalls als Philosophen und verzichte größtenteils darauf, mit Uneingeweihten über deine philosophischen Grundsätze zu sprechen, sondern handele einfach so, wie es deine Grundsätze vorgeben.“ (Epiktet)

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