Es gibt keine Hinweise, dass die antiken Stoiker Gärten angelegt oder das Gärtnern gar in ihre Lehre einbezogen hätten – so wie dies z.B. Anhänger des Zen-Buddhismus in den Zen-Gärten tun. Dennoch kann ich als gärtnernder Stoiker aus voller Überzeugung sagen: Es lässt sich viel Inspiration aus einem Garten zur Vertiefung der stoischen Lebenshaltung gewinnen. Aber was lässt sich konkret aus schlichter Gartenarbeit lernen?
Den stetigen Wandel im Garten erleben
Ein gut gepflegter Garten ist ein Idyll, ein Refugium, in dem man die Schönheit der Natur genießen kann. Und dennoch: Hier ist man gleichzeitig von den Realitäten des Lebens umgeben, vom Wachsen, Erblühen und Sterben in einem ewigen Kreislauf. Zwar möchten wir nur allzu oft gerne den Status quo einfrieren. Jedoch zeigt ein Garten, was Stoiker immer wieder anmahnen: Dass das Leben in einem permanenten Wandel begriffen ist – voller Vergänglichkeit ebenso wie voller Neuanfänge. In diesem Wissen üben Stoiker täglich, schöne Dinge dankbar anzunehmen, aber auch wieder loslassen zu können. Dies ist sicher nicht einfach und wird umso schwerer, je mehr sie uns ans Herz gewachsen sind. Jedoch sollten wir uns darauf einstellen, dass es dem natürlichen Verlauf des Lebens entspricht, sie irgendwann zu verlieren – genau wie in einem blühenden Garten.
„Was du bekommst, nimm ohne Stolz an, was du verlierst, gib ohne Trauer auf.“ (Mark Aurel)
Die Schönheit des Vergänglichen wahrnehmen
Wenn man an einem Spätsommertag die voll erblühte Schönheit der Natur im Garten genießt, lassen sich gleichzeitig bereits die Vorboten des Verlustes erkennen, der mit dem kommenden Herbst schon vor der Türe steht. Dies entspricht einer guten stoischen Übung für den Alltag, sich immer wieder an die Vergänglichkeit alles Schönen zu erinnern – und gleichzeitig an die Schönheit alles Vergänglichen.
„Wenn du dich auch noch so sehr erzürnst oder grämst, so bedenke, dass das Leben nur eine kleine Weile dauert und dass wir bald alle im Grab sein werden.“ (Mark Aurel)
Wie es gelingen kann, die Schönheit des Vergänglichen wahrzunehmen? Dies lässt sich in einem Garten besonders gut üben. Denn ein herbstlich verblühender Garten ist an Schönheit kaum zu überbieten. Und selbst im tiefsten Winter können wir uns noch an dem Wissen um die baldige Rückkehr des Frühlings erfreuen. Denn auf das Versprechen der Natur, dass nach dem Winter der Frühling zurückkehrt, können wir uns unbedingt verlassen. Alle Blüten im Garten – so vergänglich und zerbrechlich sie auch wirken – sind zum Sterben bestimmt, damit ihre Früchte leben und ihre Samen mehr Blüten hervorbringen. Dies ist der beständige Trost jedes Gartens!
Jeden gärtnerischen Kontrollzwang ablegen
Auch wenn ein Stoiker in seinen abgewogenen Überlegungen und Planungen darauf bedacht ist, stets kontrolliert zu handeln, so sollte daraus jedoch kein Kontrollzwang entstehen. Der Unterschied lässt sich sehr gut in einem Garten erkennen und erleben. Denn Gartenarbeit braucht zwar Planung und Umsicht, zeigt uns jedoch auch, dass wir immer mit Kräften rechnen müssen, die größer sind als wir selbst, und wir nie ganz Herr der Lage sind. Der Garten ist ein eigenständiges, lebendiges Gebilde, dass wir nie vollständig beherrschen. Dies entspricht gleichzeitig einer zentralen Erkenntnis der Stoiker: Wie wenig Kontrolle wir letztlich über unser Leben haben! Die Stoa empfiehlt als Konsequenz, sich mit Unkontrollierbarem auch nicht übermäßig zu beschäftigen.
„Wir müssen aus den Dingen, die in unserer Macht stehen, das Beste machen, und alles andere so nehmen, wie es ist.“ (Epiktet)
Insofern entspricht die Gartenpflege einer stoischen Lebenseinstellung – das heißt: Man akzeptiert, dass der Garten wie das Leben ständiger Pflege bedarf. Wir sollten nicht einer idealisierten Version des Lebens hinterherjagen, sondern das Beste aus dem machen, was zur Verfügung steht. Wie einen Garten sollten wir unser Leben (und was darin für uns wichtig ist) permanent hegen und pflegen – auch wenn nicht alles auf Anhieb so blüht, wie wir uns das erhoffen!
Heiterkeit und Gelassenheit im Garten erfahren
Die Lehre der Stoa fordert keine Perfektion von uns, sondern „nur“ unser Bemühen um das Bestmögliche, wenn wir uns auf sie einlassen. Auch beim Gärtnern muss man sich Mühe geben – beim Ausbringen der Saat ebenso wie bei Jäten von Unkraut. Und man muss auch Niederlagen einstecken können. (Nur Gärtner wissen, wie zermürbend die Beharrlichkeit von Unkraut sein kann!) Aber das Entscheidende ist: Sobald alles getan ist, was sinnvoll und möglich ist, kann man das Ergebnis ruhig der Natur überlassen!
„Erwarte nicht, dass die Dinge so laufen, wie du es dir wünschst, sondern wünsche, dass alles so kommt, wie es dann tatsächlich passiert – und dein Leben wird mühelos verlaufen.“ (Epiktet,)
Es gibt kaum etwas, was so beruhigend ist, wie das Wissen, alles getan zu haben, was in der eigenen Macht steht. Im Garten kann man dies immer wieder erleben: Ein Gefühl heiterer Gelassenheit und tiefer Zufriedenheit, wenn das Saatgut, das sein ganzes Potenzial bereits in sich trägt, ausgebracht ist und nun eigenständig wachsen kann. Es hat etwas von einem Wunder an sich, wenn man Pflanzen zum Wachsen bringt. Und ebenso wunderbar ist es, wenn wir unser eigenes Potenzial zur Entfaltung bringen können. Was daraus entsteht, nennen die Stoiker Eudaimonia – ein tiefgehendes innerliches Gefühl der Erfüllung, wenn wir die Chance nutzen, am Ende zu dem Menschen zu wachsen, der wir wirklich sein wollen!
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