Das Glück im Unglück finden

Vor 2000 Jahren ist die Schule der Stoa mit dem Ziel gegründet worden, Wege zur Eudaimonia (εὐδαιμονία) – zum Lebensglück – zu finden. Seitdem hat es an Ratschlägen in der Literatur, wie das Glück im Leben zu finden sei, nie gemangelt – ausgehend von verschiedenen philosophischen Schulen über reihenweise religiösen Gruppierungen bis hin zu den massenhaften Life-Coaches, die heute die Regale mit Büchern zum Thema „Glück“ füllen. Dagegen wurde und wird das „Unglück“ nur ganz selten thematisiert – obwohl es doch allgegenwärtig ist und unser Leben – zumindest gefühlt – sehr viel stärker bestimmt als das Glück. Tatsächlich sollten wir uns – gerade als Stoiker – viel häufiger mit dem Unglück beschäftigen. Denn nur so lässt sich auch das wahre Glück finden.

Glück allein macht nicht glücklich

Wenn wir Glück beschreiben sollen, ist dies für die meisten Menschen eine lose Kette einzelner – eher seltener – Momente in ihrem Leben. Aber was wäre, wenn es – rein theoretisch – eine „Glücksmaschine“ gäbe und jeder Tag voller Glücksmomente wäre? Sähe so das absolute Lebensglück aus? Wäre dies überhaupt erstrebenswert? In Umfragen reagieren die Befragten deutlich zurückhaltend, wenn es um die Vorstellung eines dauerhaften Glückszustands geht. Zwar beneiden wir immer wieder unseren Hund, der zu seinem Glück nichts anderes braucht als Essen, Schlafen, Spazierengehen und ein paar Streicheleinheiten. Aber bei näherem Nachdenken ist ein Leben voll ungetrübter Freude und permanentem Sonnenschein für die meisten eher ein Graus. Warum ist das so?

Unglück ist eine essenzielle Bedingung für Glück

So paradox es sich anhört: Für unser Glücksempfinden benötigen wir immer wieder Situationen des Unglücks. Dies hat im Wesentlichen drei Ursachen:

  • Erst durch ein erlittenes Unglück lässt sich Glück richtig wahrnehmen und wertschätzen. Es ist die Kontrasterfahrung, die uns eine glückliche Wendung nach einem Unglücksmoment besonders intensiv erleben lässt.
  • Erlangtes Lebensglück ist für uns besonders befriedigend, wenn wir uns zunächst großen Anstrengungen und Entbehrungen aussetzen müssen, bevor wir es erreichen. Glück, das uns einfach in den Schoß fällt (wie ein Lottogewinn), wirkt dagegen in unserer Empfindung nicht so lange nach. Denn Glück erscheint nur echt, wenn wir es tatkräftig anstreben und es uns hart erarbeiten müssen.
  • Am wichtigsten aber ist: Menschen können an ihrem Unglück wachsen. Jeder hat schon einmal die Erfahrung gemacht – und Studien belegen dies – dass Menschen, die sich mit einem Schicksalsschlag oder einer schweren Enttäuschung aktiv auseinandersetzen und ihr Leben wieder in die Hand nehmen, ein deutlich höheres Glücksempfinden haben als andere, die nur die Sonnenseite des Lebens kennengelernt haben.

Aber was soll das denn bitte heißen? Sollen wir etwas das Unglück suchen? Oder uns über schwere Schicksalsschläge gar noch freuen?

Glücklich-sein ist eine innere Haltung

Um es ganz klar zu sagen: Man möchte niemandem ein Unglück wünschen, das mit Leid verbunden ist! Darum geht es auch nicht. Es geht darum, wie wir – mit stoischer Haltung – auf Unglück und Leid, das uns widerfährt, reagieren.

Aus vielen Erfahrungsberichten wissen wir: Durch ein Unglück kann ein innerer Reifeprozess ausgelöst werden. Die Erfahrung des Reifens an einem Unglück setzt aber voraus, dass wir uns dem Unglück stellen, dass wir es als eine Herausforderung ansehen, der wir mit der Zuversicht, es zu bewältigen, begegnen.

Die Stoiker sind überzeugt: Das Empfinden von Glück ist kein Zustand, der von äußeren Geschehnissen abhängig ist, sondern eine innere Haltung. Was die Stoiker Eudaimonia nennen, ist etwas, das man nur in sich selbst findet. Es ist eine innere Befriedigung, die daraus entsteht, dass man sein eigenes Potenzial voll ausschöpft. Dies erfordert eine innere Entwicklung und einen persönlichen Reifeprozess, der wichtige Impulse durch Unglücksmomente erfährt, durch die wir uns nicht niederdrücken lassen, sondern an denen wir uns (immer wieder) aufrichten und wachsen. Dabei entstehen Verwundungen und Narben bleiben zurück. Aber wenn wir die Herausforderungen des Lebens annehmen und an uns selbst arbeiten, um etwas aus unserem Leben zu machen, dann werden wir die Chance haben, der Mensch zu werden, der wir sein wollen. Das damit verbundene Gefühl tiefer Zufriedenheit bzw. Erfüllung ist das, was die Stoiker als Lebensziel verfolgen: Eudaimonia.

1 Kommentar

  1. Es ist so, wie es ist
    Und so wie es ist, ist es gut

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