Dankbarkeit lernen

Im Märchen geschieht es immer wieder, dass jemand auf wundersame Weise einen Wunsch frei hat – nicht nur die Prinzessin, ebenso der Müllerssohn oder die Magd. Und weil wir heute die tiefenpsychologische Bedeutung von Märchen kennen, wissen wir auch: Dies entspricht einer Ur-Sehnsucht des Menschen. Jedem von uns fällt sofort etwas ein, was wir gerne hätten. Und wir können die Freude nachvollziehen, wenn ein inniger Wunsch – ob es ein Ballkleid ist, eine prächtige Kutsche oder ein Tanz mit dem Prinzen bzw. der Prinzessin – ganz unverhofft erfüllt wird. Ist das nicht das wahre Glück? Die Stoiker geben dazu eine klare Empfehlung:

„Denke nicht so oft an das, was dir fehlt, sondern an das, was du hast.“ (Mark Aurel)

Auch ein Stoiker kann sich heute an Märchen erfreuen. Nicht wenige von ihnen enthalten hintergründige Weisheiten. So ist die Sehnsucht nach etwas, das wir nicht haben, ein zentrales Märchen-Thema und ein starker Antrieb im wahren Leben. Die Stoa will uns daher auch nicht unsere tiefsten Sehnsüchte mit nüchternem Pragmatismus vergällen. Ein moderner Stoiker darf sich durchaus nach etwas sehnen. Aber er sollte sich vorsehen, dass dies nicht zum Hauptantrieb in seinem Leben wird: sich immer und immer wieder nach dem zu verzehren, was man noch erlangen will. „Wenn ich erst meinen Traum-Job gefunden habe…“ „Wenn ich erst mein Traum-Gewicht erreicht habe …“ „Wenn ich mir erst mein Traum-Auto leisten kann … dann werde ich glücklich sein!“ Die Stoa möchte uns zu einem Perspektivwechsel ermutigen.

Versuchen wir es einmal: Wenn wir wahrnehmen, was wir bereits haben, werden wir uns in vielen Lebensbereichen als reich empfinden. Dafür können wir dankbar sein und die Chance ergreifen, mit dem, was wir haben, im Hier und Jetzt glücklich zu sein, anstatt einem märchenhaften, unerreichbaren Glück sehnsüchtig nachzujagen. Aber: Dankbar sein bedeutet nicht, sich zu bescheiden oder abzufinden. Aus dem positiven Grundgefühl der Dankbarkeit für das, was wir haben, lassen sich besonders gut Ideen entwickeln, was man noch weiter daraus machen kann. Denn wir sind immer reich an Möglichkeiten!

1 Kommentar

  1. Vorschläge für alltägliches, für das z.B. Ich dankbar bin:
    Gesundheit, Schmerzfreiheit, Symptomfreiheit, mentale Ausgeglichenheit Essen und Trinken, Haus/Wohnung, Arzneien und ärztliche Hilfen, Partner/-in, Kind(er), Beruf, Haustiere, Leben in friedlichem Land, Dinge die mir Freude bereiten,…

    Danach fühle ich mich unheimlich reich, denn all das steht mir zur Verfügung. Wer mehr will, sollte sich mal plastisch das Fehlen all dieser Dinge vorstellen (negative Visualisierung)

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